Als Chief Strategy Officer von Staffbase haben Sie sicher einen vollen Terminkalender. Wie kam es dazu, dass Sie jetzt auch noch Autor sind und das Buch "The Narrative Age" geschrieben haben?
In vielen Gesprächen mit unseren Kund:innen habe ich festgestellt, dass der Begriff Narrativ, oft missverstanden wird. Häufig ist nicht klar: Was ist ein Narrativ, was eine Geschichte. Deshalb habe ich mir gesagt, dass ich das selbst besser verstehen möchte. Während der Arbeit habe ich gemerkt, dass das Thema viel größer und tiefer ist, als ich zunächst gedacht hatte. Daher haben wir von Anfang an ein Buch für dieses umfangreiche Thema geplant.
Was unterscheidet ein Narrativ von der guten alten Story?
Die entscheidende Abgrenzung ist für mich die: Eine Geschichte ist etwas, was ich sende. Ich erzähle eine Geschichte. Dass Storytelling funktioniert, wissen wir alle. Es ist viel besser eine Geschichte zu erzählen, als einfach nur Informationen zu liefern, weil es spannender ist und man es sich besser merken kann und so weiter.
Aber eine Geschichte landet nicht einfach in den Gehirnen unserer Zielgruppe. Wir hören den ganzen Tag Geschichten, aber speichern nicht alle ab. Sobald wir eine Geschichte hören, versuchen wir, ihr ein Muster zuzuordnen. Ein Beispiel: Wenn früher jemand erzählt hat, „ich bin im Wald einem Bären begegnet“, dann wurde diese Geschichte bei den Zuhörern im Kopf mit anderen Bärengeschichten verknüpft. Das tun wir heute immer noch. Wenn ich mehrere Geschichten einem Muster zuordnen kann, entsteht eine Art Form. Diese Form kann man ein Narrativ nennen. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass wir uns Geschichten besser merken können, wenn sie zu einem Narrativ passen, das wir bereits in uns haben. Das heißt, Geschichten, die unser aktuelles Weltbild bestätigen, werden besser wahrgenommen. Wenn sich die Kommunikation fragt, wie Geschichten bei den Zielgruppen ankommen, dann betreten wir also die Welt der Narrative.
Was sind für Sie starke Narrative?
Das können tagesaktuelle Debatten sein, wie zum Beispiel das Narrativ, dass es mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland bergab geht. Narrative können aber auch tiefer liegen und in der Kindheit geprägt worden sein. Eines meiner persönlichen Narrative ist: Ich war immer der Jüngste in meiner Klasse und wurde daher oft unterschätzt. Als Reaktion darauf, habe ich mir gesagt, okay, ich zeige, was ich kann. Das ist mir erst klar geworden, als ich das Buch geschrieben habe. Und es ist ein Beispiel für das, was ich Biographical Master Narrative nenne.
Und weil ich dieses Narrativ im Kopf habe, liebe ich auch Underdog-Geschichten. Und deshalb mag ich auch Kommunikation so sehr, die kämpft auch immer so ein bisschen um Anerkennung. Sie gilt in den unternehmerischen Strategieprozessen als nicht so wichtig. Kommunikation wird unterschätzt und das motiviert mich gemeinsam mit vielen anderen hier, für eine Veränderung zu sorgen.
Wie nutze ich in der Kommunikation die vorhandenen Narrative meiner Zielgruppen und wie schaffe ich es, dort neue Narrative zu verankern?
Hierzu habe ich etwas entwickelt, was ich die narrative Landkarte nenne. Die setzt sich aus zwei Parametern zusammen. Das eine ist die Häufigkeit eines Narrativs, das andere die Tiefe, also die kulturelle Einbettung. Wenn ich eine Vorstellung von der narrativen Landkarte meiner Zielgruppe habe, weiß ich, was ich tun kann und kann einschätzen, ob meine Geschichten zu dieser Landkarte passen. Erst dann kann ich anfangen, diese Landkarte zu verändern.
Viele Menschen sehen in Narrativen ein Instrument der Manipulation. Ein berechtigter Einwand?
Narrative sind ein Werkzeug, ein Hammer mit dem man einen Nagel einschlagen kann oder ein Fenster. Bisher wurden mit Narrativen mehr Fenster als Nägel eingeschlagen. Aber das muss nicht so bleiben. Die Möglichkeiten der Beeinflussung sind ohnehin begrenzt. Ein Unternehmen, das ein sehr schlechtes Onboarding hat, kann sich nicht hinstellen und sagen: „Wir sind ein toller Arbeitgeber“. Das wird nicht funktionieren. Es geht nicht darum, Lügen zu erzählen oder Propaganda zu machen. Im Gegenteil, ich ermutige alle: Nehmt die Leute doch erst einmal ernst, versteht doch, was ihre narrative Landkarte ist und sprecht diese an.
Ihr Ansatz mag für große Unternehmen und Politiker:innen, die in der ersten Reihe stehen, hilfreich sein. Aber was ist mit kleinen und mittelständischen Unternehmen?
Wenn man mittelständische Unternehmen nach ihren Hauptproblemen in der Kommunikation fragt, dann antworten die meisten: „Wir kommen gar nicht mehr durch, niemand hört uns mehr“. Wenn ich ein Narrativ baue, das ich über die Zeit immer wieder mit Geschichten stärke – vergleichbar mit einer eigenen Marke, wenn ich kontinuierlich und über Jahre hinweg darauf einzahle –, dann habe ich die Möglichkeit, damit durchzudringen. Wenn ich stattdessen wahllos Geschichten in die Welt streue, die nicht aufeinander aufbauen, verpuffen sie in der heutigen Informationslandschaft. Kleine Unternehmen kommen gar nicht mehr zu ihren Zielgruppen durch, wenn sie Narrative nicht verstehen und nutzen.
Wie sieht es bei der Internen Kommunikation aus?
Die Kommunikation eines Unternehmens sollte auf strategischen Narrativen basieren. Und im Kern sehe ich ein Narrativ, das ich den Nordstern nenne. Das ist das, was man bisher vielleicht als Mission, Vision oder Purpose bezeichnen würde. Ein Nordstern-Narrativ erzählt von der Zukunft, die das Unternehmen schaffen will, also, „in welcher Zukunft wollen wir leben?“, und „was ist unser Beitrag zu dieser Zukunft, um sie wahr werden zu lassen?“. Dieses Narrativ richtet sich weniger an Kund:innen als vielmehr an Mitarbeitende. Denn heute fragen sich doch viele: „Vergeude ich in diesem Unternehmen meine Zeit oder tue ich hier etwas Sinnvolles?“. Wir alle brauchen ein Ziel, und nur wenn ein Unternehmen selber weiß, wo es hin will, kann es auch seine Mitarbeitenden motivieren.