Ein wenig Drama macht das Leben bunt, nicht nur in Hollywoodfilmen. Der Showdown zwischen Piech und Winterkorn, der Kampf von Mutter Merkel mit monumentalen Weltkrisen, die Bewährungsproben internationaler Fußballstars fesseln unsere Aufmerksamkeit. Medial vermittelte, zugespitzte Stories prägen unser Bild der Realität. Klar, dass auch die Unternehmenskommunikation sich dem Storytelling verschrieben hat. Das hehre Ziel: Echte Geschichten zu erzählen und Kommunikationsinhalte emotional aufzuladen.
Allein: Es sind vor allem an die externe Leserschaft gerichtete Unternehmens-Publikationen oder Web-Plattformen, die das journalistische Handwerk beherzigen und mit der unternehmerischen Perspektive kombinieren. Die große Mehrheit der Mitarbeiterpublikationen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kommt als ideale Einschlaf-Lektüre daher. Ein echter Protagonist, wie ihn das Storytelling ursprünglich fordert? Besser nicht, sonst ist das Team vielleicht beleidigt.
Storyteling braucht eine Spannungskurve
Eine Spannungskurve, ein „inciting incident“, wie ihn der Storytelling-Guru Robert McKee als Bestandteil vieler gelungener Geschichten ausmacht? Kann es naturgemäß nicht geben, weil die Arbeitsgruppe „Vereinheitlichung der IT“, abgekürzt „VDIT forward“ natürlich schon gute IT-Strukturen vorfand, die es jetzt in einem „transparenten Prozess“ nur noch zu „optimieren“ gelte.
Falls es überhaupt etwas zu erzählen gibt: Dass der Vorstandsvorsitzende Fritz Mustermann vor zwei Monaten an einer Branchen-Konferenz teilgenommen hat, auf der man „angeregt diskutiert“ und „Perspektiven ausgelotet“ hat, ist – verflucht noch mal – das Gegenteil einer Geschichte. Nicht mal eine Nachricht, sondern verschwendeter Platz.
Hilfe, hier geht es um Wirtschaft!
Und die Emotionen, die Storytelling doch angeblich vermitteln soll? Hilfe – hier geht es doch um Wirtschaft, also eine hoch-rationale, allein der bezwingenden Marktlogik folgende Sphäre! Platz haben da allenfalls Kampfesmut und ein ganz kleines bisschen Anspannung. Ansonsten ist das Team des Programms „go for it“ selbstverständlich „zuversichtlich“, dass ein vereintes „An-einem-Strang-ziehen“ sich auszahlen wird, sofern der Workstream die definierten Benchmarks berücksichtige. Niemand hat die Absicht, eine heulende Claudia Roth-Figur in eine Titelgeschichte einzubauen.
Aber: Verliert ein Abteilungsdirektor wirklich seine Autorität, wenn er zu Beginn einer Fusion eine Woche lang ratlos war, wie er das riesige Team nun steuern soll? Bricht der Aktienkurs ein, wenn der Strategiechef nicht jede einzelne Phase bei der Entwicklung einer neuen Innovationsstrategie Powerpoint-getreu nachbeten darf? Sondern, zum Beispiel, dieser eine Tag im vergangenen September nacherzählt wird, als der Kollege aus der Forschung die anderen mit einer ganz neuen Idee erst einmal ziemlich genervt hat?
Die Mutter aller Argumente
Überhaupt, das Personal. Es ist dynamisch, teamorientiert, seit Neuerem auch noch ganz doll an Nachhaltigkeit interessiert. Männer und Frauen ohne Eigenschaften treten da auf eine Bühne, die sie qua ungeschriebenem Unternehmensgesetz gar nicht ausfüllen dürfen. Unvergessen die Kommunikationsverantwortliche, die in einer Reportage über einen Manager die von ihm ins Feld geführten Requisiten (See in Brandenburg, ein Dackel als Begleiter) bemängelte: Ja, kann der Mann keinen Porsche fahren oder wenigstens Marathon laufen, wie es sonst in jedem Drehbuch für Manager-Erfolgsgeschichten steht? Keine Ecke, keine Kante darf bleiben, gewünscht ist der austauschbare, stromlinienförmige Funktionsträger.
Antagonisten kommen nicht vor, allenfalls die „ausufernde Bürokratie“ in Deutschland. Mentoren oder klugen Gefährten außerhalb des Projektteams, Stammpersonal in klassischen Storys, wird allenfalls in einem platten Zitat gedankt, eine echte Rolle aber fällt nicht ab. Alles ganz, ganz furchtbar also, wie fast jeder Verantwortliche für Interne Kommunikation hinter vorgehaltener Hand bestätigen wird. Um dann mit den Schultern zu zucken und die Mutter aller Argumente zu bemühen: „Wir würden ja gerne, aber wir dürfen ja nicht.“
Sie sind nicht zu dämlich
Und sie haben ja Recht – oft dürfen sie tatsächlich nicht. Oder müssten tatsächlich harte interne Kämpfe ausfechten, um echte Geschichten durchzusetzen. Im besten Fall solche, die nicht nur dem oben beschriebenen, klassisch-chronologischen Strickmuster des Storytellings folgen. Die vielleicht sogar mit parallelen Erzählsträngen arbeiten, Rück- und Vorwärtsblenden, den Leser auf eine narrative Achterbahnfahrt mitnehmen oder einen Plot haben, der Gegensätzliches einander gegenüberstellt.
Nein, die Mitarbeiter sind nicht zu dämlich dafür – sie sind diese Art des Erzählens längst gewöhnt, geschult an den vielgerühmten amerikanischen Serien. Nur einen Einwand gegen echtes Storytelling gibt es, den niemand sich öffentlich zu Eigen machen würde, obwohl ihn nahezu jeder kennt: Dass interne Medien doch sowieso keiner liest, zu viel Aufwand dafür also verlorene Liebesmüh sei.
Das ist kein Einwand, sondern ein Offenbarungseid. Gerade heute, wo so viele Kanäle, so viele Medien, so viele Plattformen um Aufmerksamkeit buhlen, wo anhand von Online-Audits jederzeit messbar ist, ob eine Story mehr als zwei Leser gefunden hat. Wer eh niemanden erreicht, den kann man bei der nächsten Sparrunde auch gleich abschaffen. Schöner ist mit Sicherheit die temporeich erzählte Story von den Kommunikatoren, die mit Blut, Schweiß und Tränen interne Medien auf die Spur bringen, die Katzen-Content und Weltendrama zumindest stundenweise den Rang ablaufen.